Willkommen zu unserer Dezember 2021 Ausgabe des Öffentlichen Sektor Newsletters von Watson Farley & Williams.
THEMA DES MONATS
Durchführung von sog. Teststellungen im Rahmen von Ausschreibungen
Insbesondere bei der Beschaffung von komplexen Leistungen wie z.B. IT-Systemen, Softwarelösungen und Fahrzeugen oder bei Outsourcingvorhaben etc. besteht häufig ein Spannungsfeld zwischen den umfassenden Leistungs- und Qualitätsanforderungen des Auftraggebers einerseits und der praktischen Überprüfbarkeit der Erfüllung dieser Anforderungen durch die Produkt- und Systemangebote von Bietern andererseits. Auf den ersten Blick bieten die vergaberechtlichen Vorschriften keine Möglichkeit einer angemessenen Überprüfung der Erfüllung von Leistungs- und Qualitätsanforderungen. Allerdings hat die Rechtsprechung die Möglichkeit von sog. Teststellungen entwickelt, mit denen Auftraggeber unter gewissen Voraussetzungen die Produktangaben der Bieter verifizieren oder sogar qualitativ bewerten können.
Begriff der Teststellung und Anwendungsbereich
Als Teststellung – Funktions- oder Praxistest bzw. Bemusterung genannt – wird die praktische Vorführung eines/einer vom Bieter angebotenen Produkts bzw. Leistung bezeichnet, die der Überprüfung der Hersteller- und Produktangaben und/oder der Bewertung der Qualität dient. Dabei ist zwischen verifizierenden und wertenden Teststellungen zu unterscheiden. Während bei verifizierenden Teststellungen schlicht überprüft werden soll, ob die Angaben eines Bieters zu seinem Produkt oder einzelnen Leistungsbestandteilen auch tatsächlich zutreffen und gegebenenfalls Mindestanforderungen erfüllt sind, erfolgt bei einer wertenden Teststellung eine qualitative Bewertung des Leistungsgegenstandes anhand von vorab bekannt gemachten Zuschlagskriterien, die in den Wertungsvorgang zur Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebots einfließen. Beide Vorgehensweisen dienen letztlich dazu, dass sich der Auftraggeber ein tatsächliches Bild von der angebotenen Leistung machen kann und sich nicht lediglich auf Angaben im Angebot der Bieter verlassen muss.
Daher bieten sich Teststellungen vorwiegend dann an, wenn Fragen der praktischen Anwendung für den Auftraggeber von besonderer Bedeutung sind. Ferner können wertende Teststellungen als Hilfsmittel zur Bewertung des Angebots dienen, wenn dieses allein nicht hinreichend aussagekräftig ist oder der Auftraggeber selbst geringe Erfahrungen mit dem Produkt hat. In jedem Fall räumen Teststellungen dem Auftraggeber ein hohes Maß an Flexibilität bei der Prüfung und/oder Bewertung der angebotenen Leistungsgegenstände ein und stellen so zuverlässig deren Qualität sicher.
Geltender vergaberechtlicher Rahmen
Für die verifizierende Teststellung hat die Rechtsprechung herausgearbeitet, dass ein Auftraggeber nicht dazu verpflichtet ist, zu überprüfen, ob ein Bieter die mit seinem Angebot verbindlich eingegangen vertraglichen Verpflichtungen auch eingehalten werden. Vielmehr darf er sich grundsätzlich auch ohne Überprüfung auf die Leistungsversprechen der Bieter verlassen (so OLG Düsseldorf, Beschluss vom 15. Januar 2020 – Verg 20/19, Rn. 43). Dennoch steht es ihm frei, das Leistungsversprechen daraufhin zu überprüfen, ob die ausgeschriebenen Anforderungen erfüllt sind (so ausdrücklich VK Bund, Beschluss vom 11. November 2020 – VK 1-84/20). Entscheidet sich der Auftraggeber für eine solche Überprüfung der Erfüllung der Anforderungen, so ist er in der Art und Weise, nach welcher Methode er bei der Bewertung der Angebote vorgeht oder welche Mittel er hierbei einsetzt, weitestgehend frei. Es muss jedoch gewährleistet sein, dass die Angebotswertung transparent, willkürfrei und nachvollziehbar durchgeführt wird und hierüber eine Dokumentation angefertigt wird (VK Hessen, Beschluss vom 5. Juli 2021 – 69d-VK-61/2020; VK Bund, Beschluss vom 11. November 2020 – VK 1-84/20 und OLG Düsseldorf, Beschluss vom 15. Januar 2020 – Verg 20/19, Rn. 46).
Für die wertende Teststellung kann darüber hinaus an § 58 Abs. 2 Satz 2 VgV bzw. die vergleichbaren Regelungen der anderweitigen Vergabeordnungen angeknüpft werden. Die Vorschrift zählt lediglich beispielhaft verschiedene in Betracht kommende Zuschlagskriterien auf, sodass es Auftraggebern freisteht, eigene Zuschlagskriterien als Bestandteil der Wertung festzulegen – sofern diese in angemessenem Zusammenhang mit dem Auftragsgegenstand stehen. Denn wenn der Auftraggeber schon den Beschaffungsgegenstand grundsätzlich frei bestimmen kann, gilt dies erst recht für die Bestimmung von Zuschlagskriterien, mit denen er das nach seinen Bedürfnissen wirtschaftlichste Angebot ermittelt (OLG Celle, Beschluss vom 19. März 2019 – 13 Verg 7/18, Rn. 38). Maßgeblich ist dabei, dass die von dem Auftraggeber gewählten Zuschlagskriterien mit dem Leistungsgegenstand in Verbindung stehen müssen, vgl. § 127 Abs. 3 GWB. Zu beachten ist jedoch, dass den wertenden Teststellungen teilweise von der Rechtsprechung Bedenken entgegengesetzt werden. So entschieden sowohl die VK Südbayern (Beschluss vom 2. April 2019 – Z3-3-3194-1-43-11/18, Rn. 138) als auch die VK Rheinland (Beschluss vom 19. November 2019 – VK 40/19), dass mündliche vorgetragene Angebotshinhalte wie z. B. Präsentationen nicht Bestandteil der Wertung sein dürften. Vielmehr müsse der Auftraggeber stets sicherstellen, dass die maßgeblichen Inhalte von den Bietern bereits zum Zeitpunkt der Angebotsabgabe mindestens in Textform eingereicht werden. Hieraus ließe sich schließen, dass wertende Teststellungen, die durch Vorführung z.B. eines IT-Systems durchgeführt werden und damit nicht in Textform vorliegen, nicht Bestandteil der Wertung sein können. Allerdings steht dieser engen Sichtweise die Rechtsprechung der VK Bund (Beschluss vom 22. November 2019 – VK 1-83/19) sowie der VK Karlsruhe (Beschluss vom 16. Oktober 2019 – 1 VK 52/19) entgegen, wonach eine fachlich-inhaltliche Vorstellung des Angebots sowie des einzusetzenden Personals in Form einer mündlichen Präsentation vorgenommen und entsprechend bewertet werden kann. Für diese Sichtweise spricht, dass die Teststellung im Fall der VK Karlsruhe nicht losgelöst von schriftlichen Anforderungen stattfanden, da im Rahmen der Teststellung die in dem Lastenheft festgelegten Anforderungen erfüllt werden mussten und bewertet wurden. Für das in der Praxis zunehmend relevante Kriterium der „Nutzerfreundlichkeit“ ist zudem zu berücksichtigen, dass dieses insofern zu objektivieren ist, dass ein Gremium aus Nutzern die Leistungen anhand vorgegebener einheitlicher Kriterien testet, diese einzeln bewertet und dann eine so ermittelte objektive Punktzahl in die Wertung eingestellt wird (vgl. VK Bund, Beschluss vom 11. November 2020 – VK 1-84/20).
Hinweise für die Praxis
Vor dem Hintergrund der Vorteile von Teststellungen einerseits und der bestehenden Rechtsunsicherheit andererseits empfiehlt sich für die Durchführung von (wertenden) Teststellungen ein klares und in den Vergabeunterlagen festgelegtes Vorgehen, das sowohl den Grundsätzen der Gleichbehandlung und Transparenz als auch den Dokumentationserfordernissen Rechnung trägt. So ist bereits im Vorfeld des Vergabeverfahrens in den Vergabebedingungen festzulegen und bekannt zu machen, welche Anforderungen an (wertende) Teststellungen aufgestellt werden, so dass den Grundsätzen der Transparenz und Gleichbehandlung ausreichend entsprochen wird. Die Durchführung von Teststellungen bedeutet zwar ein gewisses Maß an Organisationsaufwand seitens der Auftraggeber. Dem stehen aber die Vorteile einer effizienten und qualitativ hochwertigen Leistungserbringung gegenüber.