Willkommen zu unserer dritten Ausgabe des Öffentlichen Sektor Newsletters von Watson Farley & Williams.
THEMA DES MONATS
Umwelt- und Nachhaltigkeitskriterien im Vergaberecht
Die Relevanz der Themen Umweltschutz und Nachhaltigkeit in Gesellschaft und Wirtschaft kann angesichts derzeitiger Entwicklungen kaum mehr bestritten werden. Umso verständlicher erscheint es daher vor dem Hintergrund eines Beschaffungsvolumens der öffentlichen Auftraggeber von rund EUR 360 Milliarden pro Jahr (etwa 13 Prozent des Bruttoinlandsprodukts), dass sich der Gesetzgeber öffentlichen Auftraggebern zuwendet und bei der Beschaffung von Liefer-, Dienst-, und Bauleistungen regulierend tätig wird. Hierbei bietet sowohl das Vergaberecht als auch die Gesetzgebung gewichtige Anknüpfungspunkte, die eine nachhaltige Beschaffung ermöglichen und die im Folgenden aufgezeigt werden sollen.
1. Anknüpfungspunkte im Vergaberecht
Innerhalb des Vergaberechts kann eine nachhaltige, umweltfreundliche und gleichzeitig wirtschaftliche Beschaffung auf verschiedenen Ebenen erreicht werden. Dazu gibt das „Rechtsgutachten umweltfreundliche öffentliche Beschaffung“ in der aktualisierten Fassung vom Oktober 2020 einige zielführende Hinweise.
Schon im Vorfeld eines Vergabeverfahrens können Auftraggeber festlegen, auf welche Weise die Themen Umwelt und Nachhaltigkeit abgebildet werden können. Vielfach wird dazu auch eine Markterkundung als Vorbereitungsmaßnahme erforderlich werden, um sich einen Überblick über nachhaltige und innovative Lösungen verschaffen zu können. Dabei können Vorgaben sowohl in der Leistungsbeschreibung als auch im Rahmen der Eignungs- und Zuschlagskriterien berücksichtigt werden. Schließlich lässt sich aber auch im Vertrag durch sog. Ausführungsbedingungen eindeutig definieren, wie die Leistungen unter Berücksichtigung von Umwelt- und Nachhaltigkeitsaspekten zu erbringen sind.
Regelmäßig liegt der Schwerpunkt auf den Wertungs- und Zuschlagskriterien, da diese eine nachhaltige und umweltfreundliche Beschaffung zu wirtschaftlichen Bedingungen ermöglichen.
Während in der bisherigen Anwendungspraxis insbesondere der Preis im Sinne eines Anschaffungs- bzw. Betriebspreises neben leistungsbezogenen als wesentliches Bewertungs- und Zuschlagskriterium herangezogen wurde, blieben die sog. Lebenszykluskosten weitgehend außer Betracht was auch daran liegen mag, dass eine Verpflichtung zur Berücksichtigung von Lebenszykluskosten lediglich für die Beschaffung von energieverbrauchsrelevanten Gegenständen in § 67 VgV normiert ist, wonach von den Bietern energieverbrauchsrelevante Daten abzufragen sind. Als Lebenszykluskosten werden alle relevanten Kosten bezeichnet, die ein Produkt während seines gesamten Produktlebenszyklus verursacht. Dies schließt auch die „versteckten“ Kosten ein, etwa Verbrauchs- und Entsorgungskosten. Auf diese Weise kann zum Bespiel durch einen Vergleich unterschiedlicher Varianten von Produkten festgestellt werden, ob und in welchen Umfang die umweltfreundliche Variante im Vergleich zur konventionellen Variante eines Produkts oder einer Leistung auch aus ökonomischer Sicht insgesamt besser abschneidet. In die Berechnung von Lebenszykluskosten können dabei gemäß § 59 Abs. 2 VgV miteinfließen
• die Anschaffungskosten; dazu können die Liefer- und Installationskosten einschließlich Arbeits-, Material-, Verwaltungs- und Testkosten gehören;
• die Nutzungskosten, insbesondere den Verbrauch von Energie und anderen Ressourcen. Je nach Art der Leistung kann eine Differenzierung sinnvoll sein, z. B. bei elektronischen Geräten „im Regelbetrieb, in Volllast und in Stand-by“. Weitere Kosten können anfallen für Raumbedarf, Betrieb, Hilfs- und Betriebsstoffe, Ausfallkosten sowie Nebenkosten, wie Versicherungskosten, Lizenz- und Nutzungsgebühren;
• die Wartungskosten, wie z. B. Kosten für Instandhaltung und Reparatur (Arbeitszeit, Hilfsstoffe, Ersatzteile);
• Kosten am Ende der Nutzungsdauer, insbesondere die Abholungs-, Entsorgungs- oder Recyclingkosten, oder
• Kosten, die durch die externen Effekte der Umweltbelastung entstehen, die mit der Leistung während ihres Lebenszyklus in Verbindung stehen, solange ihr Geldwert nach § 59 Abs. 3 VgV berechnet werden kann. Derartige Kosten können Kosten der Emission von Treibhausgasen und anderen Schadstoffen sowie sonstige Kosten für die Eindämmung des Klimawandels umfassen.
Der Auftraggeber hat dabei eine Methode vorzugeben, wie die jeweiligen Kosten berechnet werden sollen, wobei er in der Wahl dieser Methode grundsätzlich frei ist, da die Aufzählung in § 59 Abs. 2 VgV nicht abschließend ist. Denkbar wäre daher beispielsweise, dass Energieverbrauchskosten durch Vorgabe eines prognostizierten Anteils der verschiedenen Betriebszustände der energieverbrauchsrelevanten Geräte und eines für die Zwecke der Wertung unterstellten Referenzstrompreises zu ermitteln sind. Aber auch im Bereich der Vergabe von Planungs- und Bauleistungen können Lebenszykluskosten Berücksichtigung finden. So könnten dort etwa Kosten für erforderliche Behelfsbauten, Baustoffe oder für den Betrieb ebenso erhoben werden wie für die anschließende Beseitigung oder anderweitige Nutzung des Gebäudes.
Während also grundsätzlich auf erster Stufe lediglich der Preis für die Anschaffung zulässiges Bewertungskriterium sein kann, erlaubt § 59 Abs. 2 VgV eine Betrachtung all jener Kosten, die von der Herstellung bis zur Verwertung des Produkts anfallen können, und deren Einbeziehung in die Wertung. Was auf den ersten Blick wie reiner Selbstzweck zu Gunsten des Umweltschutzes wirkt, ist bei naher Betrachtung vom Gebot der Wirtschaftlichkeit gedeckt. Denn häufig sind lediglich oder mit erheblicher Gewichtung die Anschaffungskosten Bestandteil der Wertung – wie etwa im Bereich der IT-Beschaffung. Gleichzeitig geraten dabei Wartungs- und Nutzungskosten, Kosten für Ersatzteile oder die Verwertung nach Ablauf der Nutzungsdauer aus dem Blickfeld der öffentlichen Auftraggeber.
Insgesamt gilt, dass Auftraggeber einen großen Spielraum bei der Festlegung von Bewertungs- und Zuschlagskriterien wie auch bei der Gestaltung von Wertungsmatrizen haben.