Willkommen zu unserer Juni 2022 Ausgabe des Öffentlichen Sektor Newsletters von Watson Farley & Williams.
Anbei erhalten Sie die aktuelle Ausgabe unseres Newsletters mit einer Zusammenfassung aktueller Entwicklungen im Bereich des öffentlichen Sektors.
Kaum ein Mobilitäts-, Infrastruktur- oder Digitalisierungsprojekt wird ohne Inanspruchnahme von staatlichen Fördermitteln mehr realisiert. Dadurch steigen auch die Anforderungen an die ordnungsgemäße Durchführung von Beschaffungsvorhaben deutlich, sofern man eine Rückforderung von Zuwendungen nicht riskieren will. Die Anzahl an Rechtsprechung zu diesem Themenkomplex nimmt zu, sodass in jedem Fall eine Kenntnis zu den absoluten „No Gos“ erforderlich ist, um Risiken zu reduzieren.
Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser – mit dem Thema des Monats möchten wir Sie anhand der aktuellen Rechtsprechung über die Möglichkeiten informieren, wie Leistungsversprechen von Unternehmen im Rahmen des Vergabeverfahrens überprüft und somit unliebsame Überraschungen in der Auftragsdurchführung vermieden werden können.
Zudem haben wir wieder eine Auswahl praxisrelevanter Entwicklungen in der Gesetzgebung sowie aktueller vergaberechtlicher Entscheidungen zusammengestellt.
Auch für das 2. Halbjahr 2023 haben wir bereits wieder einige Veranstaltungen vorbereitet – wir würden uns freuen, Sie in dem ein oder anderen Format begrüßen zu dürfen.
Wir wünschen Ihnen eine gute Lektüre bei sommerlichen Temperaturen!
THEMA DES MONATS
Überprüfung von Leistungsversprechen in Vergabeverfahren – Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser?
Immer öfter stehen Auftraggeber vor der Problematik, dass Unternehmen im Vergabeverfahren (umfassende) Aussagen treffen, die sich dann in der Auftragsabwicklung als nicht erfüllbar herausstellen. In jüngerer Vergangenheit mehrten sich vergaberechtliche Entscheidungen, die unter anderem die Frage zum Gegenstand hatten, ob und in welchen Fällen er die von den Unternehmen im Vergabeverfahren getroffenen Aussagen überprüfen muss (VK Südbayern, Beschluss vom 8. Februar 2023 – 3194.Z3-3_01-22-42; VK Südbayern, Beschluss vom 30. Mai 2022 – 3194.Z3-3_01-21-61; BayObLG, Beschluss vom 3. Juni 2022 – Verg 7/22; BayObLG, Beschluss vom 13. Juni 2022 – Verg 6/22; VK Lüneburg, Beschluss vom 22. August 2022 – VgK-15/2022; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 15. Januar 2020 – Verg 20/19).
Es besteht zwar Einigkeit, dass öffentliche Auftraggeber nur bei Vorliegen konkreter Anhaltspunkte die Aussagen insbesondere des Bieters mit dem wirtschaftlichsten Angebot überprüfen muss. Dies kann z.B. bei sehr weitreichenden Leistungsversprechen, bei erst noch zu entwickelnden Leistungen oder bei personalintensiven Leistungen der Fall sein. Zudem muss ein Unternehmen erst ab der Erteilung des Zuschlags über die erforderliche Leistungsfähigkeit für den Auftrag sein, da ihm nicht zugemutet werden kann, die für den Auftrag erforderlichen Mittel über das Vergabeverfahren hinweg vorzuhalten (BayObLG, Beschluss vom 09.04.2021 – Verg 3/21; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 12. Juni 2019 – Verg 52/18).
Den Auftraggebern kommt jedoch zugute, dass sie in der Wahl ihrer Mittel frei sind, wie sie die Aussagen von Unternehmen im Vergabeverfahren überprüfen können, da § 56 Abs. 1 VgV keine Vorgaben zur Art und Weise der Prüfung enthält (so ausdrücklich VK Südbayern, Beschluss vom 8. Februar 2023 – 3194.Z3-3_01-22-42).
Im Folgenden sollen daher verschiedene Möglichkeiten aufgezeigt werden, auf welche Weise öffentliche Auftraggeber die Aussagen von Unternehmen im Vergabeverfahren überprüfen können, um eine Leistungserbringung gemäß diesen Aussagen sicherstellen zu können. Dabei kann und sollte zwischen verschiedenen Ebenen differenziert werden, nämlich Eignungsprüfung, Angebotsprüfung und vertraglichen Bestimmungen i.S.v. Ausführungsbedingungen.
- Überprüfung auf der Ebene der Leistungsfähigkeit (Eignung)
Auf der Ebene der Eignung ist zunächst zu beachten, dass die Eignungskriterien der VgV abschließend sind. Es können hier also nicht beliebige Erklärungen gefordert werden, sondern diese haben sich im Rahmen des § 46 Abs. 3 VgV zu halten. Hier können z.B. bei personalintensiven oder organisatorisch anspruchsvollen Leistungen die Angabe des für die Leistungserbringung vorgesehenen technischen Fachpersonals oder (stellvertretenden) Projektleiters (§46 Abs. 3 Nr. 2 VgV) oder Referenzangaben gefordert werden (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss v. 12. Juni 2019 – Verg 52/18). Doch führt lediglich die Angabe, dass eine bestimmte oder die geforderte Anzahl an Fachkräften zur Verfügung stehen werden noch nicht zu der Gewissheit, dass dies in der Phase der Leistungserbringung auch der Fall sein wird.
Eine solche Gewissheit kann auf Ebene der Eignung auch gar nicht erlangt werden. Denn bei der Eignungsprüfung handelt es sich um eine Prognose, bei der der Auftraggeber auf Grundlage der eingereichten Erklärungen eine Entscheidung trifft, ob das Unternehmen wirtschaftlich und finanziell sowie technisch und beruflich in der Lage ist, die Leistungen zu erfüllen (vgl. BayObLG, Beschluss vom 26. Mai 2023 – Verg 2/23; OLG Frankfurt, Beschluss vom 23. Dezember 2021 – 11 Verg 6/21; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 27. April 2022 – VII-Verg 25/21).
Um diese Prognoseentscheidung jedoch bestmöglich treffen zu können, sollten öffentliche Auftraggeber sich nicht lediglich mit der Angabe der (Anzahl der) Fachkräfte oder Referenzen begnügen. Vielmehr sollten hier konkrete Erklärungen abgefordert werden, auf welche Weise ab der Zuschlagserteilung die Verfügbarkeit der Fachkräfte sichergestellt werden kann. Die Angaben zu den Referenzen sollten durch Gespräche mit den Referenzauftraggebern überprüft werden. Sofern z.B. ein Informationssicherheitsmanagementsystem (ISMS) nach § 46 Abs. 3 Nr. 3 VgV gefordert wird, sollte hier nicht lediglich der Nachweis über dessen Etablierung gefordert werden. Sondern es können auch – als gleichwertiges Kriterium – konkrete Erklärungen abgefragt werden, die belegen können, dass ein solches ISMS zu einem bestimmten Zeitpunkt nach Zuschlagserteilung spätestens etabliert wurde.
Weiter abgesichert können diese Angaben und Erklärungen dadurch, dass in das Vertragswerk Vertragsstrafen oder Kündigungsgründe für den Fall eines Verstoßes gegen die abgegebenen Eignungserklärungen aufgenommen werden können.
- Überprüfung auf Ebene der Zuschlagsentscheidung (Angebotsphase)
Für die Angebotsphase ist wesentlich, dass dort der jeweilige Leistungsgegenstand sowie die Art und Weise der Auftragsdurchführung überprüft werden sollen. Dies kann sowohl unter Berücksichtigung der Zuschlagskriterien als auch anhand der von den Bietern eingereichten Konzepte stattfinden.
Maßgebliches Instrument für diese Überprüfung sind vor allem sog. verifizierende Teststellungen. Dabei kontrolliert der Auftraggeber, ob die von den Bietern angebotenen Leistungen, die von ihm vorgegebenen (Mindest-) Kriterien erfüllen, d. h. ob die Funktionalitäten der angebotenen Leistungen tatsächlich mit den Anforderungen des Auftraggebers übereinstimmen. Solche verifizierenden Teststellungen finden meist in Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb (§ 17 VgV) in der Phase der Verhandlungen mit sämtlichen Bietern statt. Jedoch ist es auch möglich, diese verifizierenden Teststellungen unmittelbar vor der beabsichtigten Zuschlagserteilung mit demjenigen Bieter durchzuführen, auf dessen Angebot der Zuschlag erteilt werden soll. Sofern dann festgestellt wird, dass die angebotene Leistung nicht einer Mindestanforderung entspricht, ist der Zuschlag zu versagen und ist die verifizierende Teststellung mit dem Bieter mit dem zweitwirtschaftlichsten Angebot durchzuführen.
Die Durchführung solcher verifizierender Teststellungen ist auch im offenen Verfahren möglich. Ein Verstoß gegen das Verhandlungsverbot aus § 15 Abs. 5 Satz 2 VgV liegt nicht vor, da der Auftraggeber schlicht von seinem Recht Gebrauch macht, das Leistungsversprechen zu überprüfen.
Auch ist es einem Auftraggeber unbenommen, die Angebote durch einen externen Sachverständigen prüfen zu lassen (VK Südbayern, Beschluss vom 8. Februar 2023 – 3194.Z3-3_01-22-42). Hierbei ist jedoch zu beachten, dass der Auftraggeber durchaus die (beratende) Expertise eines Dritten in Anspruch nehmen kann. Die Entscheidung, ob ein Angebot den (Mindest-) Anforderungen entspricht muss allerdings vom Auftraggeber selbst getroffen werden, was in der Vergabeakte erkennbar dokumentiert sein muss (VK Berlin, Beschluss vom 14. März 2022 – VK-B2-40/21).
In Verhandlungsverfahren sollten Auftraggeber die Verhandlungen insbesondere auch dazu nutzen, Rückfragen zu stellen und die Art und Weise der Leistungserbringung, die etwa im Rahmen eines Auftragsdurchführungskonzepts beschrieben wird, plausibilisieren zu lassen. Dies allein bringt zwar keine Sicherheit, dass die Leistungen auch demgemäß durchgeführt werden. Allerdings können aufgrund der Aussagen der Bieter die Vergabeunterlagen (insbesondere Leistungsverzeichnis und Vertragswerk) „nachgeschärft“ werden und die Bieter so zur ordnungsgemäßen Leistungserbringung angehalten werden.
Eine Bestätigung über die Inhalte eines Konzepts oder eines Angebotes kann auch im Rahmen eines dokumentierten Aufklärungsgespräches stattfinden. Der Grundsatz der Schriftlichkeit nach § 9 Abs. 2 VgV steht dem nicht entgegen. Denn die unscharfe Formulierung ist dahingehend zu verstehen, dass z.B. telefonische Anfragen zur Auslegung von Angaben in den Vergabeunterlagen, mündliche Abgaben von verfahrensrelevanten Erklärungen oder mündliche Korrekturen von eingereichten Unterlagen nicht zugelassen sind. Dabei ist jedoch darauf zu achten, dass sich dies nicht auf die Wirtschaftlichkeitsbewertung auswirkt und die Gespräche lediglich dazu dienen, sich des Angebotsinhalts zu vergewissern.
- Sicherstellung auf Ebene der Leistungsausführung (vertragliche Ausführungsbestimmungen)
Schließlich ist durch geeignete Regelungen auf der Ebene der Leistungserbringung und damit im Vertragsvollzug sicherzustellen, dass der Auftragnehmer zur Erfüllung der im Vergabeverfahren getroffenen Aussagen einschließlich seines Angebotes angehalten wird.
§ 128 Abs. 2 GWB erlaubt ausdrücklich, dass der Auftraggeber in die Vergabeunterlagen, d.h. in den Vertrag als Bestandteil der Vergabeunterlagen (siehe § 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 VgV), Bedingungen für die Auftragsausführung festlegen darf. Dem Auftraggeber stehen damit verschiedene Instrumente zur Verfügung, wie er den Auftragnehmer zur Leistungserbringung entsprechend seinen Aussagen und dem Angebot aus dem Vergabeverfahren anhalten kann.
Dabei ist zunächst zu empfehlen, dass nicht nur einzelne Angebotsbestandteile (wie ein von dem Bieter bzw. Auftragnehmer eingereichtes Leistungsverzeichnis oder Konzepte) sondern auch die Angaben und Erklärungen zur Eignung sowie die dokumentierten Aussagen aus einem Aufklärungsgespräch Bestandteil des Vertrages werden.
Weiterhin sollten Vertragstermine und -fristen (im Verhandlungsverfahren einvernehmlich mit den Bietern) festgelegt werden. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass dem Auftragnehmer ggf. ausreichend Zeit einzuräumen ist, wenn er etwa ausreichend qualifiziertes Personal bereitstellen soll. Denn wie bereits ausgeführt ist der Auftragnehmer erst ab Erteilung des Zuschlages verpflichtet, die Leistungsfähigkeit herzustellen. Um dies realistisch darstellen zu können, ist dem Auftragnehmer ausreichend Zeit hierfür einzuräumen („Bereitstellungs- oder Rüstzeit“).
Die so festgelegten Vertragstermine und -fristen sollten an Vertragsstrafen geknüpft werden. Danach kann z.B. für jeden Tag oder Woche des (verschuldeten) Überschreitens der festgelegten Termine und Fristen Zeiten eine Vertragsstrafe in Höhe eines bestimmten Prozentsatzes von dem Gesamtauftragswert vereinbart werden. Hierbei sollte die Höhe der Vertragsstrafe mit Augenmaß festgelegt werden, da die Bieter üblicherweise die Zahlung von Vertragsstrafen in den Angebotspreis einkalkulieren. Als Leitlinie können etwa die Regelungen der EVB-IT AGB gelten, die ebenfalls Bestimmungen zur Vertragsstrafe enthalten. Alternativ sollte zumindest auf den gesetzlich geregelten Schadensersatzanspruch wegen Verzug aus § 286 BGB hingewiesen werden.
Ein weiteres Instrument, um den Auftragnehmer zur vertragsgemäßen Leistung anzuhalten, sind Kündigungsregelungen. Hierbei sollte jedoch bewusst sein, dass eine Kündigung lediglich ultima ratio sein kann und für diesen Fall ein Schadensersatzanspruch für die Mehrkosten aus einem Folgeverfahren oder einer interimsweisen Beauftragung vereinbart werden sollte.
Deutlich wird nach alledem, dass durch ein Bündel von verschiedenen Instrumenten auf sämtlichen der drei angesprochenen Ebenen das Leistungsversprechen von Bietern im Vergabeverfahren überprüft bzw. sichergestellt werden kann. Die Kombination der einzelnen Instrumente richtet sich dabei nach Art und Umfang des zu beschaffenden Gegenstandes.