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Windenergie: BGH schließt ordentliche Kündigung von Nutzungsverträgen vor Baubeginn/COD aus29 April 2025

Am 12. März 2025 hat der BGH (Az.: XII ZR 76/24) die für Grundeigentümer, aber insbesondere für Projektentwickler und Betreiber von Windparks, wichtige Frage beantwortet, ob ein Nutzungsvertrag für eine geplante Windenergieanlage schon vor deren Baubeginn oder Inbetriebnahme kündbar ist. Die Antwort des BGH ist ein klares Nein, sofern die Parteien konkludent eine feste Vertragsbindung bis zum Eintritt bestimmter Bedingungen vereinbart haben.

"Bislang war die Rechtslage unsicher, da es unterschiedliche Auffassungen über die Kündbarkeit solcher Verträge gab."

Die zentrale Frage: Können Grundeigentümer vor Baubeginn oder Inbetriebnahme kündigen?

Der Kern des Rechtsstreits drehte sich um die Frage, ob ein Landnutzungsvertrag für eine geplante Windenergieanlage vom Grundstückseigentümer vor dem eigentlichen Baubeginn oder der Inbetriebnahme gekündigt werden kann. Bislang war die Rechtslage unsicher, da es unterschiedliche Auffassungen über die Kündbarkeit solcher Verträge gab, wenn der Beginn der festen Vertragslaufzeit von einem ungewissen zukünftigen Ereignis wie Baubeginn oder Inbetriebnahme einer zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses noch nicht genehmigten Windenergieanlage abhängt.

Das OLG Hamm stellt hierzu in seiner Entscheidung vom 2. Juli 2020 (Az.: 5 U 81/19) fest, dass bei Klauseln, die den Vertragsbeginn mit Unterzeichnung des Vertrags, den Laufzeitbeginn aber mit Baubeginn oder Inbetriebnahme der Windenergieanlage festlegen, vor Baubeginn bzw. Inbetriebnahme der Windenergieanlage noch kein befristetes Mietverhältnis vorliege. Der Baubeginn bzw. die Inbetriebnahme der Windenergieanlage sei ein in der Zukunft liegendes, ungewisses Ereignis. Vor Eintritt dieses Ereignisses bestehe das Vertragsverhältnis somit als unbefristeter Mietvertrag. Gemäß § 542 BGB sei daher eine ordentliche Kündigung grundsätzlich möglich. Ob ein formularmäßiger Ausschluss des ordentlichen Kündigungsrechts einer AGB-Prüfung standhalte bzw. den Eigentümer unangemessen benachteilige, wollte das OLG Hamm anhand aller Umstände des Einzelfalls prüfen. Die Branche diskutierte somit darüber, wie es bestmöglich gelingen könne, eine sichere und langfristige Vertragslaufzeit bei Windenergieprojekten zu regeln. Klauseln, die den Vertragsbeginn erst mit Baubeginn bzw. Inbetriebnahme der Windenergieanlage eintreten lassen wollten, wurden von vielen Marktteilnehmern als risikobehaftet angesehen.

"Der BGH hat nunmehr Stellung bezogen und der Möglichkeit einer ordentlichen Kündbarkeit bis zum Zeitpunkt des Baubeginns oder der Inbetriebnahme eine Absage erteilt."

Der BGH hat nunmehr Stellung bezogen und der Möglichkeit einer ordentlichen Kündbarkeit bis zum Zeitpunkt des Baubeginns oder der Inbetriebnahme eine Absage erteilt.

Worum ging es bei dem der Entscheidung zugrundeliegenden Rechtsstreit?

Die Rechtsvorgängerin des Beklagten schloss im Mai 2017 mit der Klägerin einen Nutzungsvertrag. Dieser Vertrag erlaubte der Klägerin unter anderem die Verlegung von Kabeln, den Bau von Zufahrtswegen und das Überstreifen von Rotorblättern sowie die Bewilligung von Baulasten auf dem Grundstück des Beklagten. Die Nutzungsentschädigung sollte erst nach Eintragung der in der nutzungsvertraglich vereinbarten Dienstbarkeit und Vormerkung sowie Baubeginn gezahlt werden. Die feste Vertragslaufzeit von 20 Jahren sollte gemäß § 3 Nr. 1 des Nutzungsvertrags erst mit Ablauf des Jahres beginnen, in dem die letzte geplante Windenergieanlage in Betrieb genommen wurde. § 8 des Vertrags regelte die fristlose Kündigung aus wichtigem Grund. § 9 Nr. 1 enthielt ein Rücktrittsrecht für beide Parteien, falls die immissionsschutzrechtliche Genehmigung nicht innerhalb von fünf Jahren ab Vertragsunterzeichnung erteilt wurde oder die zeitnah bevorstehende Erteilung einer solchen Genehmigung nicht nachgewiesen werden konnte. Diese Frist konnte durch den Nutzer gegen Zahlung von 500,00 EUR einseitig um ein weiteres Jahr verlängert werden. Der Beklagte erklärte im Februar 2022 die ordentliche Kündigung des Nutzungsvertrags. Die Klägerin beantragte daraufhin die Verurteilung des Beklagten zur Abgabe der notwendigen Erklärungen für die grundbuchlichen Eintragungen. Das Landgericht gab der Klage statt, und das Oberlandesgericht wies die Berufung des Beklagten zurück. Gegen diese Entscheidung legte der Beklagte Revision beim Bundesgerichtshof ein.

Das BGH-Urteil: Keine ordentliche Kündigung vor Baubeginn/Inbetriebnahme

Der BGH wies die Revision zurück und bestätigte die Ansicht der Vorinstanzen, dass der Beklagte nicht zur ordentlichen Kündigung berechtigt war. Die Argumentation des Gerichts liefert entscheidende Leitlinien für die Auslegung von Nutzungsverträgen für Energieprojekte:

Verträge über Flächen für (Wind-)energieanlagen sind Mietverträge

Der BGH bekräftigte zunächst die rechtliche Vergleichbarkeit von Flächennutzungsverträgen für Windenergieanlagen mit Mietverträgen und damit die Anwendbarkeit des Mietrechts (§§ 535 ff. BGB). Diese Einstufung wirkt sich auf den rechtlichen Rahmen und die Verpflichtungen beider Parteien aus und gewährleistet, dass die Verträge rechtlich genauso behandelt werden wie herkömmliche Mietverträge. Mit dieser Bestätigung seiner vorherigen Rechtsprechung bestehen hinsichtlich der Einordnung derartiger Nutzungsverträge als Mietverträge keine Zweifel mehr.

Unbefristetes Mietverhältnis durch aufschiebende Bedingung

Die Verknüpfung des Beginns der Festlaufzeit von 20 Jahren an ein zukünftiges, ungewisses Ereignis (nämlich die Inbetriebnahme der letzten Windenergieanlage) stellt – so der BGH – eine aufschiebende Bedingung gemäß § 158 Abs. 1 BGB dar. Denn zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses war nicht nur ungewiss, wann die Inbetriebnahme erfolgen würde, sondern auch, ob sie aufgrund der ausstehenden Genehmigungen überhaupt stattfinden würde. Der Vertrag war zwar ab Unterzeichnung gültig, aber die befristete Festlaufzeit hatte zu dem Zeitpunkt noch nicht begonnen. Bis zum Eintritt dieser Bedingung und damit dem Start der Festlaufzeit, liegt also ein unbefristetes Mietverhältnis vor (das grundsätzlich ordentlich unter Einhaltung der gesetzlichen Fristen kündbar ist).

Konkludenter Ausschluss der ordentlichen Kündigung

Trotz der unbestimmten Mietzeit bis zum Bedingungseintritt stellte der BGH fest, dass das Recht zur ordentlichen Kündigung eines Nutzungsvertrags für Windenergieanlagen während der unbefristeten Phase bis zum Beginn der festen Vertragslaufzeit konkludent ausgeschlossen sein kann. Ein solch konkludenter Ausschluss ergab sich hier aus der Systematik des Vertrags, insbesondere dem Zusammenspiel von § 8 und §9, und der Interessenlage der Parteien:

  • die Kündigungsklausel erwähnte nur das Recht zur außerordentlichen Kündigung aus wichtigem Grund, die ordentliche Kündigung blieb ausdrücklich unerwähnt. Der BGH schloss daraus, dass es sich um eine abschließende Aufzählung von Kündigungsmöglichkeiten handelt; und
  • die Rücktrittsklausel sah klare Rücktrittsbedingungen vor, vor allem für den Fall, dass die immissionsschutzrechtliche Genehmigung nicht innerhalb von fünf Jahren erteilt wird. Der BGH argumentierte, dass diese detaillierten Rücktrittsregeln bedeutungslos wären, wenn der Grundstückseigentümer den Vertrag einfach jederzeit mit ordentlicher Frist kündigen könnte. Verträge sind so auszulegen, dass alle Klauseln einen Sinn ergeben.

"Der BGH stellte klar, dass bei der Auslegung von Nutzungsverträgen für Energieprojekte, die Interessen beider Vertragsparteien berücksichtigt werden müssen."

Der BGH stellte klar, dass bei der Auslegung von Nutzungsverträgen für Energieprojekte, die Interessen beider Vertragsparteien berücksichtigt werden müssen. Würde man ein Kündigungsrecht in der Schwebezeit annehmen, würde die Investitionssicherheit des Anlagenbetreibers ausgehöhlt – was die Realisierbarkeit solcher Projekte faktisch unmöglich machen würde. Dies sei ebenso relevant wie das Interesse des Grundstückseigentümers an einer zeitnahen Vergütung.

Die letzte und entscheidende Hürde: Hält der Kündigungsausschluss einer AGB-Kontrolle stand?

Da es sich bei dem Nutzungsvertrag – wie in den wohl meisten Fällen – um ein vom Projektentwickler vielfach genutztes Dokument handelte, prüfte der BGH, ob der (konkludente) Kündigungsausschluss den Grundstückseigentümer unangemessen benachteiligt (§ 307 BGB). Das Gericht kam zu dem Ergebnis, dass dies nicht der Fall war, und zwar aus den folgenden Gründen:

  • der Grundstückseigentümer konnte das Grundstück bis zum Baubeginn weiterhin landwirtschaftlich nutzen und auch verkaufen;
  • der Grundstückseigentümer war aufgrund des Rücktrittsrechts nach fünf Jahren (trotz Möglichkeit zur Verlängerung gegen Gebühr) nicht unbegrenzt gebunden, wenn die Genehmigung nicht erteilt würde; und
  • auch Verzögerungen zwischen Baubeginn und Inbetriebnahme wurden durch die Zahlbarkeit einer Mindestentschädigung ab sechs Monaten nach Baubeginn Rechnung getragen.

Was bedeutet das Urteil für Entwickler von erneuerbaren Energie-Projekten? 

Die Entscheidung des BGH hat erhebliche Auswirkungen, und zwar wohl nicht nur für die Windenergiebranche. In dem Urteil ging es zwar konkret um einen Flächennutzungsvertrag für Windenergieanlagen. Die vom BGH angewandten Grundsätze der Auslegung der Vertragsklauseln sind aber übertragbar. Auch wenn sich die konkrete Interessenlage leicht unterscheiden kann, ist davon auszugehen, dass ähnliche Klauseln in Nutzungsverträgen für PV-Anlagen oder Batteriespeicher von der Rechtsprechung zukünftig ähnlich beurteilt werden. Was bedeutet das Urteil konkret?

Rechtssicherheit und Planbarkeit für Projektentwickler

Projektentwickler können nun mit größerer Sicherheit planen und investieren, da das Risiko einer vorzeitigen Kündigung durch den Grundeigentümer während der langen Genehmigungsphase reduziert wird, sofern die Verträge ähnlich ausgewogen gestaltet sind. Das Urteil unterstreicht den Grundsatz, dass Verträge halten sollen, und zwar auch und insbesondere solche für Großprojekte mit langen Laufzeiten, die von Bedingungen abhängen, deren Eintritt ungewiss ist.

"Der BGH beendet mit diesem Urteil die bisher unklare Rechtslage und stellt klar, dass die für eine erfolgreiche Energiewende notwendige langfristige Planbarkeit rechtssicher gestaltet werden kann."

Bedeutung präziser und angemessener Klauseln

Die Notwendigkeit klarer und ausgewogener Formulierungen, insbesondere in Bezug auf Kündigungs- und Rücktrittsrechte für beide Parteien bei Misserfolg oder erheblichen Projektverzögerungen sowie die Festlegung von Fristen und Bedingungen wird weiter hervorgehoben. Wichtig ist zudem eine klare Definition des Vertragsgegenstandes, realistische und faire Fristen für Genehmigungen und Baubeginn und eindeutige Regelungen zum Pachtzins (Höhe, Fälligkeit, Anpassung).

Schutz für Grundeigentümer

Das Urteil lässt Grundstückseigentümer nicht schutzlos zurück. Die Nutzungsverträge unterliegen weiterhin der AGB-Kontrolle und missbräuchliche Klauseln, wie z. B. unbefristete Bindungen ohne Ausstiegsmöglichkeit oder angemessene Entschädigungszahlung, wären weiterhin mit einem erheblichen Unwirksamkeitsrisiko behaftet.

Ein richtungsweisendes Urteil, das einen effektiven Beitrag zur Energiewende leistet

Der BGH beendet mit diesem Urteil die bisher unklare Rechtslage und stellt klar, dass die für eine erfolgreiche Energiewende notwendige langfristige Planbarkeit rechtssicher gestaltet werden kann – und zwar (angemessene und ausgewogene Verträge vorausgesetzt) ohne Grundeigentümer unangemessen zu benachteiligen. Das Gericht stellt klar, dass eine unbefristete, unentgeltliche Bindung nicht zulässig ist und unterstreicht die Bedeutung von fairen Beendigungsklauseln nach einer angemessenen Wartezeit, falls sich Projekte langfristig verzögern. Damit ist klar, dass es auf ein stimmiges und gut konzipiertes Vertragswerk ankommt, dass den Interessen beider Parteien Rechnung trägt und es versteht, diese miteinander in Einklang zu bringen.